M. Hausleitner: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen

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Titel
Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830


Autor(en)
Hausleitner, Mariana
Reihe
Forum: Rumänien
Erschienen
Berlin 2021: Frank & Timme
Anzahl Seiten
338 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Weger, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Historikerin Mariana Hausleitner hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im In- und Ausland mit mehreren fundierten Studien zur Geschichte Südosteuropas, insbesondere der Juden und der Deutschen als Minderheiten im historischen rumänischen Machtbereich im 19. und 20. Jahrhundert, einen Namen gemacht. Mit der vorliegenden Monografie legt sie nunmehr eine Art Synthese ihrer bisherigen Forschungen vor. Diese Überblicksdarstellung ist dabei weit mehr als eine Zusammenfassung bisheriger Recherchen. Sie kontextualisiert die Geschichte der beiden untersuchten Entitäten, der Juden und der Deutschen, in einem sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts mehrfach stark wandelnden Rumänien sowie in der allgemeinen Geschichte. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zu einem breiteren Verständnis von Zeit und Raum des Untersuchungsgegenstandes.

Die Parallelgeschichte von Deutschen und Juden in Rumänien gliedert die Autorin in sieben Hauptkapitel, mit denen sie ihre Narration in die Zeit bis 1918, die Jahre von 1918 bis 1933, 1933 bis 1944, 1945 bis 1954, 1955 bis 1964, 1964 bis 1989 sowie die Zeit seit dem Sturz des Kommunismus periodisiert. Hausleitner beginnt ihre Ausführungen in einer Epoche, in der es Rumänien als einheitlichen Staat noch gar nicht gab, sondern als Vorläufer die beiden Fürstentümer Walachei und Moldau, die in einem Suzeränitätsverhältnis zum Osmanischen Reich standen. Erst 1859 erwuchs daraus das geeinte Fürstentum Rumänien. Es erlangte nach dem Berliner Kongress seine Souveränität und wurde 1881 zum Königreich erhoben. Das im Untertitel genannte Jahr 1830 verweist auf die Folgen des Friedens von Adrianopel (1829), der einen der zahlreichen russländisch-osmanischen Konflikte beendete und in beiden Fürstentümern unter russischem Druck zur Annahme des Organischen Reglements (Reglementul organic), einer Art Proto-Verfassung, führte. Die Zahl der Juden stieg zu jener Zeit an, vor allem in der Moldau, und damit verbunden auch deren wirtschaftliche Bedeutung. Ihre Aktivitäten hatten einen nicht unwesentlichen Anteil an der Modernisierung des Landes im 19. Jahrhundert. Allerdings wurden ihnen lange die meisten Bürgerrechte vorenthalten, was internationale Interventionen zu ihren Gunsten auslöste. Demgegenüber spielten Deutsche bis zum Ersten Weltkrieg nur eine untergeordnete Rolle; sie lebten entweder in den Städten oder als ländliche Kolonisten in der 1878 hinzugewonnenen Dobrudscha. Und dies, obgleich der Monarch, Carol/Karl I., aus der deutschen Dynastie von Hohenzollern-Sigmaringen stammte und auch seine Frau Elisabeth von Wied (Carmen Sylva) aus deutschem Adel kam.

Mit den Gebietszugewinnen Rumäniens nach dem Ersten Weltkrieg wurden ehemals unter habsburgischer beziehungsweise russländischer Herrschaft stehende Territorien eingegliedert, jeweils mit zahlenmäßig bedeutsamen Minderheiten. Es ist ein Verdienst der Autorin, die einzelnen Gebiete zunächst separat zu untersuchen, denn nicht nur quantitativ, sondern auch historisch, wirtschaftlich und sozial waren die regionalen Unterschiede erheblich. Dies gilt auch für die Affinität der regionalen Eliten für die nationalsozialistische Ideologie, die sich ab den frühen 1930er-Jahren zu etablieren begann. Während etwa in der Bukowina nach 1933 noch traditionelle Formen einer deutsch-jüdischen gesellschaftlichen Kooperation funktionierten, beschritten Deutsche und Juden in anderen Regionen getrennte Wege. Dass die Selbstgleichschaltung der Deutschen aber keineswegs linear und zwangsläufig verlief, beweisen die von der Autorin angeführten Beispiele mutigen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Während die Deutschen in der Zeit des Totalitarismus in Rumänien als „deutsche Volksgruppe“ organisiert wurden, sahen sich die Juden einer zunehmenden Ausgrenzung ausgesetzt. Dabei hing ihr weiteres Schicksal unter anderem von ihren Wohnorten ab: Während etwa die meisten Juden im rumänischen Banat, wenngleich unter prekären Verhältnissen, überlebten, wurden Juden in den nordöstlichen Landesteilen brutal verfolgt, deportiert und zum Teil ermordet. Die Widersprüchlichkeiten der rumänischen Politik demonstriert Mariana Hausleitner am Beispiel der Deportationen nach Transnistrien während des Zweiten Weltkriegs. Obwohl Rumänien unter Ion Antonescu ein militärischer Verbündeter des Dritten Reichs war, betrieb die Staatsführung eine in manchen Punkten abweichende Politik gegenüber den Juden – nicht aus Humanität, sondern häufig aus Opportunismus.

Breiten Raum widmet die Verfasserin der Diskriminierung von Juden und Deutschen in der Zeit des Stalinismus. Mit dem „Frontwechsel“ Rumäniens vom August 1944 wurden die Deutschen unter den pauschalen Faschismusverdacht gestellt und zu „Feinden“ erklärt. Viele von ihnen wurden 1945 als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in die UdSSR deportiert. Die kommunistische Agrarreform von 1945 enteignete zahlreiche Großbauern und läutete die Kollektivierung der Landwirtschaft ein, die herkömmliche Dorfstrukturen gewaltsam zerschlug. Vor allem aus dem Banat, aber auch aus Siebenbürgen wurden Deutsche auch innerhalb des Landes verschleppt – in die Bărăgan-Steppe oder in die Dobrudscha zum Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals. Die Kommunisten diffamierten bürgerliche und sozialdemokratische Politiker als Regimegegner und bedrängten sie.

Diskriminierungen und Verfolgungen während des Zweiten Weltkriegs veranlassten viele rumänische Juden nach 1945 zur Auswanderung nach Palästina/Israel oder zu überseeischen Zielen. Insbesondere zionistisch eingestellte Juden galten nun ebenfalls als Staatsfeinde. Sehr differenziert schildert Hausleitner die Entwicklungen der Deutschen und der Juden in der Phase des sogenannten Nationalkommunismus seit den 1960er-Jahren mit unterschiedlichen Handlungsoptionen für die Betroffenen innerhalb eines staatlicherseits klar vorgegebenen Rahmens.

Im letzten Kapitel widmet sich Mariana Hausleitner der Geschichtsaufarbeitung. Diejenigen Deutschen, die nach 1989/90 nicht den Weg der Aussiedlung in den Westen wählten, organisierten sich im Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien/Forumul Democrat al Germanilor din România mit zahlreichen Regionalgliederungen. Mariana Hausleitner beschreibt den Weg, der zur Öffnung der Securitate-Archive nicht nur für Historiker/innen, sondern auch für ehemals Verfolgte geführt hat. Die Akten verdeutlichten allerdings auch, dass während der kommunistischen Diktatur Deutsche in Rumänien nicht nur Opfer waren, sondern es in ihren Reihen auch solche gab, die bereit waren, sich in das Bespitzelungssystem aktiv einzufügen. Neben der Erschließung dieses Wissens spielt aber auch die Überwindung überkommener Geschichtsbilder nach dem Sturz des Ceaușescu-Regimes eine Rolle, ein Prozess, der nur langsam voranschreitet, wenngleich sich heute viele rumänische Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen mit der Kultur und Geschichte der Deutschen in ihrem Land befassen.

Eine Behinderung eines offenen Geschichtsdiskurses macht die Autorin aber auch in Deutschland seitens der rumäniendeutschen Landsmannschaften aus, die ihrer Meinung nach gerne an eingefahrenen Sichtweisen festhalten und diese nur selten kritisch hinterfragen.

Mit Verweis auf ihr bisheriges Œuvre hat die Autorin bewusst auf einen klassischen Anmerkungsapparat verzichtet. Unerlässliche Literaturverweise sind nach amerikanischer Kurzzitation in den Text eingebunden. Dafür gibt die Autorin ihren Leserinnen und Lesern ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 303–330) an die Hand, das ihnen eine Vertiefung zahlreicher behandelter Gesichtspunkte ermöglicht. Ein Personenverzeichnis erlaubt zudem die gezielte Suche innerhalb des Textes; ein geografisches Verzeichnis wäre auch hilfreich gewesen. Der räumlichen Orientierung dient eine Karte (S. 9), auf der die Gebietsveränderungen Rumäniens zwischen 1940 und 1943 schematisch eingezeichnet sind. Karten anderer historischer Entwicklungsstadien der Donaufürstentümer beziehungsweise Rumäniens fehlen leider gerade für solche Rezipient:innen, die mit den allgemeinen Entwicklungen Südosteuropas nicht vertraut sind.

Mariana Hausleitner hat ein engagiertes und ein gut lesbares Werk vorgelegt, das sich gerade als Einstiegslektüre für die Befassung mit der Geschichte der Minderheiten in Rumänien eignet. In diesem Buch dominiert gegenüber dem 19. eindeutig das 20. Jahrhundert, ganz besonders dessen zweite Hälfte. Die besonders komplexe Entwicklung in dieser Zeit und deren unmittelbare Nachwirkungen in die Gegenwart rechtfertigen diese Akzentsetzung. Hervorzuheben ist die Berücksichtigung zahlreicher Akteure und Akteurinnen innerhalb der geschichtlichen Darstellung. Damit entgeht Mariana Hausleitner den Fallstricken einer eindimensionalen, zu sehr auf „Gruppen“ bezogenen Darstellung.

Beim ersten Lesen des Buchtitels könnte sich ein Anfangsverdacht gegenüber der Autorin aufdrängen: Soll im Buch etwa durch die Gegenüberstellung von Deutschen und Juden eine Relativierung unterschiedlicher Zeitläufte bewirkt werden? Die Lektüre des Buches zeigt, dass diese Befürchtung vollkommen unbegründet ist. Mariana Hausleitner ist weit davon entfernt, die Schicksale von Deutschen und Juden in Rumänien im 20. Jahrhundert auf eine Stufe zu stellen. Beide waren zwar Objekte einer staatlichen Minderheitenpolitik, doch arbeitet die Verfasserin für das 20. Jahrhundert auch die Verstrickungen eines Teils der deutschen Minderheit in Repressionen gegenüber den Juden heraus. Gemeinsam ist beiden Minderheiten, dass die Zahl ihrer Angehörigen im heutigen Rumänien drastisch geschrumpft ist. Welche Umstände, welche politischen Entscheidungen, welche handelnden Personen dafür verantwortlich waren – das wird einem deutlich, nachdem man Hausleitners Ausführungen von 1830 bis in die jüngste Gegenwart gefolgt ist.

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